Über das Selbstwertgefühl

Was es stärkt, was es schwächt, und warum Selbstliebe alleine nicht reicht

Haben Sie oft die Sorge, nicht gut genug zu sein? Sagen Sie zu oft „ja“, obwohl Sie gerne „nein“ sagen würden? Oder haben sie gerade ein große Kränkung erlebt und sind dadurch in eine tiefe Krise gestürzt? Dann könnte es sein, dass Sie gerade ein Selbstwertthema mit sich herumschleppen. Das haben die meisten von uns hin und wieder. Denn: Das Selbstwertgefühl ist ein fragiles Gebilde, das durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst wird, und daher sehr schwanken kann: Mal ist unser Selbstwertgefühl ganz stabil, manchmal einigermaßen okay, und in schlechten Phasen kaum noch vorhanden. Manche Menschen leiden dauerhaft unter einem geringen Selbstwertgefühl, andere nur phasenweise oder anlassbezogen.

Symptome eines geringen Selbstwertgefühles können sein:

  • häufiger Neid auf andere,
  • massive Eifersucht,
  • Perfektionismus,
  • ausgeprägte Scham, wenn man einen Fehler gemacht hat,
  • häufiges Gefühl, nicht dazuzugehören,
  • Selbstabwertung,
  • übermäßige Anpassungsbereitschaft, die einem nicht guttut,
  • nicht nein sagen können,
  • das Gefühl, anderen Menschen nicht wichtig zu sein,
  • Gefühle von Minderwertigkeit oder Wertlosigkeit uvm.

Selbstannahme als Basis für ein gutes Selbstwertgefühl

Doch was ist eigentlich ein gutes Selbstwertgefühl, wie bildet es sich? Und wovon hängt es ab, ob ich ein „gutes“ oder „schlechtes“ Selbstwertgefühl habe? Gar nicht so einfach zu beantworten. Denn das Selbstwertgefühl wird von vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Zum Beispiel davon, ob ich mich selbst annehmen kann. Wenn ich mich grundsätzlich in Ordnung finde und mir selbst mit Wohlwollen, Verständnis und Geduld begegne, dann stärke ich damit mein Selbstwertgefühl. Bin ich hingegen dauernd sehr streng mit mir und überlasse meinen inneren Kritikern das Feld, dann schwäche ich meinen Selbstwert damit.

Menschen mit einem stabilen bzw. „guten“ Selbstwertgefühl sind natürlich auch nicht immer glücklich. Sie verfügen aber über ein paar Fähigkeiten, die das Leben leichter machen. Sie können

  • sich selbst realistisch einschätzen
  • mit Konflikten souverän umgehen, d.h. ohne in eine Selbstwertkrise zu geraten und sich komplett in Frage zu stellen
  • den eigenen Wert erkennen und schätzen
  • sich annehmen und gleichermaßen freundlich selbstkritisch sein
  • Probleme gelassener lösen
  • ihre Grenzen wahren
  • ihre Interessen angemessen vertreten usw.

Selbstliebe alleine reicht nicht

Für ein insgesamt gutes Selbstwertgefühl reicht aber nicht, sich okay zu finden oder sich in Selbstliebe zu üben. Denn es gibt noch andere wichtige Parameter, die unseren Selbstwert beeinflussen. Zum Beispiel die Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Kann ich mein Leben einigermaßen nach meinen Vorstellungen gestalten, dann beeinflusst das meinen Selbstwert in der Regel positiv. Leide ich hingegen oft unter dem Gefühl der Hilflosigkeit, weil ich im Job oder in einer Beziehung nicht viel ausrichten kann, dann leidet das Selbstwertgefühl darunter.

Auch unser Wissen um unsere Fähigkeiten hat Auswirkungen auf unser Selbstwertgefühl und unser Selbstbild. Sich darüber bewusst zu sein, was ich alles kann, stärkt das Selbstwertgefühl. Sich unfähig und „dumm“ zu fühlen – etwa weil uns der Chef das ständig zu spüren gibt oder unsere Eltern uns das früher eingetrichtert haben – schwächt das Selbstwertgefühl hingegen.

Auch unser grundlegendes Lebensgefühl spielt eine wichtige Rolle für den Selbstwert. Habe ich mich als Kind willkommen und geliebt gefühlt, wird mein emotionales Grundgerüst – und somit mein Selbstwertgefühl – anders aussehen, als wenn ich ständig abgewertet, missachtet oder sogar misshandelt wurde.

Es sind aber nicht nur unsere inneren Prozesse, die unseren Selbstwert bestimmen, auch Einwirkungen von außen sind in ihrer Wirkung auf unseren Selbstwert nicht zu unterschätzen. Die sozialen Systeme, in denen wir uns bewegen, können unser Selbstwertgefühl nämlich auch empfindlich beeinflussen. Fühle ich mich im Job permanent über- oder unterfordert, wird das meinen Selbstwert nicht gerade boosten. Singe ich in einem Chor und fühle mich dort unheimlich wohl, dann hebt das meinen Selbstwert vermutlich. Und lebe ich in einer liebevollen Partnerschaft und fühle mich dort wertgeschätzt, dann kann das ein dauerhafter Selbstwertbooster sein.

Gut zu wissen: 5 Fakten über den Selbstwert

  1. Jeder kann in eine Selbstwertkrise geraten, etwa durch eine Trennung, eine Entlassung, eine demütigende Erfahrung oder eine tiefe Kränkung. Auch Menschen mit einer schönen Kindheit und guten Beziehungen können davon betroffen sein.
  2. Das Selbstwertgefühl bildet sich aus innerpsychischem und systemischem Erleben und unterliegt daher natürlicherweise gewissen Schwankungen.
  3. Unser Selbstwert hat viel mit unseren individuellen Werten, Ansprüchen und unserem Selbstbild zu tun. Daher lohnt es sich, diese hin und wieder zu hinterfragen und zu überprüfen.
  4. Unser Selbstwert kann in Gruppen gestärkt werden oder auch geschwächt werden. Mobbing beispielsweise kann das Selbstwertgefühl radikal ramponieren und sogar traumatisierend sein.
  5. Auch in Beziehungen wird unser Selbstwert hin und wieder angekratzt, beispielsweise wenn wir uns ungerechtfertigter Kritik ausgesetzt fühlen. In toxischen Beziehungen wird der Selbstwert des Opfers oft so ruiniert, dass es nahezu handlungsunfähig wird.

5 häufige Irrtümer über den Selbstwert

  1. Wer ein gutes Selbstwertgefühl hat, kann alles erreichen.
    Auch Menschen, die ein sehr gutes Selbstwertgefühl haben, sind in ihren Fähigkeiten begrenzt und können scheitern. Möglicherweise trauen sie sich aber eher, etwas Neues auszuprobieren. Ein Erfolg ist aber keineswegs garantiert, wie einige dubiose Coachingprogramme irrigerweise versprechen.
  2. Wer ein gutes Selbstwertgefühl hat, ist überheblich, egoistisch oder arrogant.
    Falsch. Im Gegenteil. Menschen mit einem guten Selbstwertgefühl erkennen ihre Grenzen und können auch mal über sich selbst lachen. Überhebliche, selbstverliebte Menschen sind eher narzisstisch geprägt. Und Narzissten haben bekanntermaßen ein nicht so stabiles Selbstwertgefühl.
  3. Wer ein gutes Selbstwertgefühl hat, ist auf andere Menschen und deren Anerkennung nicht mehr angewiesen.
    Nein. Wir alle sind soziale Wesen und brauchen die Anerkennung und Zuwendung anderer Menschen. Wer meint, niemanden zu brauchen, erliegt einem Irrtum und folgt vermutlich einem Bindungsvermeidungsmuster, das meistens durch Traumata entsteht. Allerdings machen sich Menschen mit einem guten Selbstwertgefühl nicht so sehr von der Bewertung durch andere abhängig.
  4. Wer ein gutes Selbstwertgefühl hat, kommt in allen Gruppen gut zurecht. Auch das stimmt nicht. Jedes soziale System hat die Fähigkeit, das Selbstwertgefühl der einzelnen Mitglieder zu stärken oder zu schwächen – je nach Rolle und Status fallen die Muster hier unterschiedlich aus. Menschen mit einem recht guten Selbstwertgefühl lassen sich vielleicht nicht so schnell destabilisieren wie solche mit einem nicht so guten Selbstwertgefühl. Ausgrenzungserlebnisse sind jedoch für jeden Menschen eine schlimme Erfahrung, die auch das Selbstwertgefühl berührt.
  5. Wer ein gutes Selbstwertgefühl hat, ist immer mit sich zufrieden. Nein. Das wäre ja auch traurig. Denn Unzufriedenheit kann ein positiver Antreiber für Entwicklung und Reifung sein. Auch ist ein selbstkritischer Blick hin und wieder sinnvoll, denn nur so können wir aus Fehlern lernen, daran wachsen und uns sicher in der Gesellschaft bewegen. Allerdings neigen Menschen mit einem stabilen Selbstwertgefühl nicht so sehr dazu, sich selbst fertig zu machen und sich grundsätzlich in Frage zu stellen.

Sie sehen: Das Selbstwertgefühl ist komplex, dynamisch und gar nicht so leicht zu identifizieren. Wer sich also mit seinem Selbstwertgefühl beschäftigen möchte, muss viele verschiedene innerpsychische und systemische Ebenen berücksichtigen. Es gibt nicht nur eine Stellschraube, an der man etwas drehen kann, sondern verschiedene. Die gute Nachricht: Es ist möglich, an seinem Selbstwertgefühl zu arbeiten. Man muss eben nur wissen, wo man am besten ansetzt.

Text: (c) Felicitas Römer 2025

Foto: istock

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