Das Innere Kind: ein Störenfried?

Wie das „Innere Kind“ Ihre Paarbeziehung beeinflusst

Streiten Sie oft über vermeintliche Kleinigkeiten im Alltag? Und wissen Sie irgendwann gar nicht mehr, worum es eigentlich geht? Dann spielen Ihre „Inneren Kinder“ bestimmt eine wichtige Rolle dabei. Wie Sie Ihrem Inneren Kind auf die Spur kommen und warum das bei Beziehungsproblemen helfen kann.

Drehen Sie und Ihr Partner sich in Ihren Diskussionen im Kreis und haben Sie keine Ahnung, warum das so ist und was sich dagegen tun lässt? Dann befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Denn sehr viele Paare stecken in einer Dynamik fest, die sie weder verstehen noch verändern können. Klar, was sollen sie auch ändern, wenn sie nicht mal wissen, was eigentlich genau vor sich geht?

Dabei sind es gerade diese kleinen, immer wiederkehrenden Konflikte, die einem Paar dazu verhelfen könnten, an sich zu arbeiten und ihre Liebe zu vertiefen. Denn wenn die Partner*innen verstehen, wer wann warum wie reagiert, können sie – mit ein bisschen Übung und Geduld – diese belastende Dynamik auflösen.

Wichtige Voraussetzungen dafür sind:

• echtes Interesse an der Verbesserung/Vertiefung der Partnerschaft,

• eine gewisse Neugier darauf, was bei dem Partner/der Partnerin innerlich passiert,

• die Bereitschaft, bei sich selbst hinzuschauen, welche Muster ablaufen, und ein Gespür dazu entwickeln, warum das möglicherweise so ist,

• Lust darauf, das Erfahrene zu nutzen, um neue Verhaltensweisen auszuprobieren. 

Die Verhaltensweisen, die immer wieder zur Eskalation der Situation führen, sind letztlich nichts anderes als missglückte Problemlösungsversuche. Sie missglücken deshalb, weil sie der Situation nicht angemessen sind. Weil diese Strategien zwar vielleicht früher einmal hilfreich waren, es jetzt aber nicht mehr sind. Und vor allem, weil nicht die erwachsenen Ichs agieren, sondern verzweifelte, hilflose oder verängstigte Innere Kinder.

Ein Beispiel: 

Lina fühlt sich von ihrem Mann Hannes oft allein gelassen. Sie wuppt den Haushalt, meistert den größten Teil die Kindererziehung und arbeitet halbtags im Büro. Wenn sie erschöpft ist (was immer öfter der Fall ist), macht sie Hannes Vorwürfe, er kümmere sich um nichts, alles laste auf ihren Schultern, er sei zuhause faul. Er reagiert darauf gereizt und abwehrend, und verweist auf seine viele Arbeit und sein gutes Gehalt. An der Situation ändert sich jedoch nichts. Lina wird immer wütender und verzweifelter, Hannes zieht sich immer mehr zurück und arbeitet noch mehr. 

Bei genauerem Blick auf die Situation unsere beiden Protagonisten zeigt sich, dass Lina schon als Kind viel Verantwortung übernehmen musste, für ihre depressive Mutter und ihre kleinere Schwester. Sie galt schon mit 6 Jahren als besonders reif und klug und stark. So konnte ihre Herkunftsfamilie ihr problemlos alles Mögliche aufhalsen, ohne dass sie das jemals kritisiert oder in Frage gestellt hätte. Lina lernte so einerseits, dass sie viel schaffte, viel bewirken konnte. Sie hatte eine besondere Position in der Familie inne und war wichtig für das System. Das machte sie in gewisser Weise stolz, sie fühlte sich kompetent und autonom.

Andererseits lernte sie allerdings auch, dass sie sich „Schwäche“ nicht leisten konnte. Schließlich konnte sich keiner vorstellen, dass auch sie vielleicht mal überfordert sein könnte. Sie selbst auch nicht. Sie bat um nichts und forderte nie etwas ein. Keiner dachte: „Aber sie ist doch noch so jung/zart/bedürftig!“ Niemand machte sich  Sorgen um sie. So funktionierte sie lange vor sich hin, und wurde oft als „Powerfau“ bewundert und beneidet, die alles problemlos auf die Reihe bekommt. 

Nun drohte jedoch langsam das Burnout, und Lina hatte keine Idee, wie sie da heraus kommen könnte. Die Vorwürfe an ihren Mann Hannes (ein ungeschickter Hilferuf!) führten offensichtlich nicht zu dem gewünschten Ergebnis, dass ihre Überforderung endlich gesehen und berücksichtigt werden möge. 

Aber auch Hannes hatte einen verständlichen Grund, auf die Vorwürfe seiner Frau abwehrend zu reagieren. Seine Mutter hatte zwar nicht oft mit ihm geschimpft, ihm aber immer wieder auf subtile Weise zu verstehen gegeben, dass seine Leistungen minderwertig waren, dass er zu faul war, zu wenig hilfsbereit, zu lasch. Immer litt er unter dem Grundgefühl, nicht gut genug zu sein, nicht zu genügen. In seinem Job konnte er das mittlerweile erfolgreich kompensieren, er war sehr ehrgeizig und machte viele Überstunden. Mit den Vorwürfen seiner Frau konnte er jedoch nicht umgehen, er fühlte sich wie ein Vorschuljunge, wenn sie ihn als „faul“ bezeichnete, um 30 Jahre zurückkatapultiert in eine höchst unangenehme Situation mit seiner abwertenden Mutter. 

Wie an diesem Beispiel gut zu erkennen ist, spielen frühere Kindheitserfahrungen Beziehungskonflikten eine große Rolle. Es sind im Grunde genommen die Inneren Kinder, die miteinander streiten, die aber keine Lösung finden (können), weil sie eben überforderte oder verletzte kleine Kinder sind und für komplexe Probleme (noch) keine angemessenen Konfliktlösungsstrategien entwickelt haben

Die Aufgabe des Paares wäre es nun, sich über diese unterschiedlichen Ebenen klar zu werden, und diese anschließend auseinander zu dividieren. Beide Partner sollten beginnen, sich bewusst liebevoll mit ihren jeweiligen „Inneren Kindern“ zu beschäftigen. Oft ist das mit Trauerarbeit verbunden. Das wäre nicht nur für jede(n) von beiden heilsam, sondern eröffnete dem Paar auch ganz neue Möglichkeiten, sich besser zu verstehen und einander in der jeweiligen Entwicklung zu unterstützen.  

Ich selbst arbeite übrigens (noch) lieber mit Ego States als mit dem Inneren Kind, aber darüber schreibe ich ein anderes Mal. 🙂

So kommen Sie Ihrem „Inneren Kind“ auf die Spur

Wenn Sie sich auch oft in dieser Spirale wiederfinden und vermuten, dass hier ein „Inneres
Kind“ im Spiel sein könnte, können Sie die folgenden Fragen nutzen, um Ihrem „Kleinen
Störenfried“ auf die Spur kommen und ein tieferes Verständnis für sich selbst und Ihre Partnerschaft zu entwickeln.
Beschäftigen Sie sich dafür mit den folgenden Fragen:

Über welche Themen streiten wir regelmäßig, ohne dass es zu einer Konfliktlösung kommt?
Wie fühle ich mich in diesen Konflikten? Welche Gefühle kommen hoch? Kenne ich diese
Gefühle von früher? Wenn ja, woran erinnern sie mich? Wie alt war ich damals?
Beschreiben Sie möglichst genau das „Innere Kind“, das sich in den beschriebenen Konflikten zu Wort meldet. Wie sieht es aus, welchen Gesichtsausdruck hat es, welche Körperhaltung hat es eingenommen?
Welche (unerfüllten) Bedürfnisse hat dieses „Innere Kind“ (z. B. Bedürfnis, gesehen zu werden, gewürdigt zu werden et.)? Wofür kämpft es?
Was könnten Sie selbst tun, um die Bedürfnisse Ihres „Inneren Kindes“ zu befriedigen?
Wie könnte Sie ggf. Ihr Partner/Ihre Partnerin dabei unterstützen, damit Sie selbst einen
liebevollen und heilsamen Umgang mit diesem „Inneren Kind“ finden?

Text © Felicitas Römer 2021

Foto: Pixabay